iwi-lyrik

Unterhaltungs-Blatt

(Illustrierte des 19 Jahrhunderts)

1856 – Elter Jahrgang – Nr. 47

Novellen und Erzählungen

Aus einem Bücher-Basar in Ingolstadt
Wenn ich das Buch aufschlage, öffnet ein säuerlich-modriger Dunst sein Tor. Man kommt auf Idee, dass es sich hier um uralte Keime handelt, die sich bis hinein in die Lunge ausdehnen um zu infizieren. Ähnlich wie es zur Zeit der Corona-Virus tut. Deshalb fotografiere ich im Freien den Text um ihn überhaupt lesen zu können. Hier eine amüsante Kostprobe vom vorletzten Jahrhundert. Das war noch vor der französischen Revolution.

Tagebuchauszug eines Mormonen-Ältesten

Des HERRN Hand lastet schwer auf seinen Heiligen! Unsere Frauen werden widerspenstig. Das Ungeheuer Mode, dessen Schwert die heiligsten Satzungen trennt, ist aus dem Babel des Westens zu uns gedrungen, und verrückt die Köpfe unserer Weiber und beraubt ihre Herzen der Demut und lässt sie vergessen, dass der Mann Herr des Weibes sein soll. Wie wird das enden! – Martha, meine 38. Frau, verlangte gestern eine Trinoline von mir. Ich versprach sie ihr, da sie sonst Krämpfe bekommen hätte. Natürlich werden sich nun aber die anderen 37 auch bald melden! Wo soll da Platz in meinem Hause herkommen, wenn 35 Frauen in bauschender Trinolinen darinnen umherrauschen! Ich werde dazwischen verschwinden, wie die Maus zwischen Elefanten!
– Gestern war es schrecklich! Ich hatte Hannah, meiner 20igsten, einen rosa Hut geschenkt, den sie mir in einer schwachen Stunde abgelockt hat. Ich bat sie, dies Geschenk vor den andren Frauen zu verheimlichen. Nun brüstete sie sich erst recht damit und ich sah mich innerhalb einer Stunde von 27 Frauen umzingelt, die sämtlich rosa Hüte verlangten. Ich fasste einen frischen Mut und schlug es ab. Wehe mir! Sofort fielen einige in Ohnmacht, andere bekamen Lach- und wieder andere Weinkrämpfe; kurz, es offenbarten sich so gefährliche Symptome, dass ich schleunigst einen allgemeinen Hutkauf versprechen musste, wenn ich nicht endlich zwischen Leichen als die einzige fühlende Brust dastehen wollte – oder umgekehrt.
– Susanna, meine 14te, hatte gestern die Frauen vom Ältesten Schmith, 30 an der Zahl eingeladen, Anna meine 15te, aber die 25 Frauen des Bruders Masham. Natürlich war kein Platz im Hause und es erhob sich ein Streit, der mit Schlägen endete. Wer Recht behalten hat, weiß nicht, denn ich floh beim Beginne des Zwistes in ein Asyl des Durstes zur Quelle Kidron.
– Katharine, meine 37ste Gattin , machte mir heute den Vorschlag, einen Ball zu geben. Das fehlte mir noch! Wo Tänzer für die Frauen und Mädchen herbekommen? Und dann würde ich tanzen sollen, ich , der ich jetzt vor Verzweiflung bisweilen springe. Andere würden auch Bälle geben und ich müsste alle meine 38 besseren Hälften hinführen! Und die neuen Ballkleider und Coiffuren! Mir schauert schon bei dem Gedanken.

Ich bin ein glücklicher Mann! 38 Herzen nenne ich mein, und kann keinen Strumpf gestopft bekommen! Meine Hauswirtschaft ist eine entsetzliche Wirtschaft! Oft kann ich kein Essen kriegen, denn jede meiner Frauen behauptet: an ihr sei das Kochen nicht. Und die Kinderziehung!!! Herr strafe mich nicht zu hart! Nun halt Ichs nicht mehr aus. Martha hat von der Trinoline geplaudert und nun will der ganze weibliche Staat Trinolinen haben. Alle Frauen sind in offener Rebellion und wir müssen das Entsetzlichste befürchten. Ach! Wären doch die Bundestruppen schon eingetroffen! Ich nähme sofort 38 Mann in´s Quartier.

Pierre Mouton: Erzählung nach dem französischen von Paul Cliffon

Ellys Corona-Coller

„Was soll ich nur mit der vielen Zeit anfangen,“ denkt Elly. Wie mag es den andren gehen, die ebenso in dieser Corona-zeit ihren Alltag und das Wochenende fristen. Jeder Tag ist wie der andere, so scheint es, und doch bemerkt sie beim Schreiben, dass sich die Tage doch unterscheiden.

Jetzt am frühen Maienmorgen zwitschert es fröhlich und Elly öffnet das Fenster. Am Horizont ein heller Streifen oberhalb der Wolkendecke… es beginnt zu tagen. Zeit für ein Dankgebet, einen Bibelvers, eine Andacht, einen Vortrag aus dem christlichen Radio.

Ein Lied erfüllt ihre Seele mit neuer Kraft und Freude. Sie ist gespannt auf die Worte, die dann meist folgen. Eine Morgenandacht zur Ermutigung. Wie sehr sie das braucht und schätzt in diesen hoffnungslosen Zeiten.

1. Mai – Tag der Arbeit

So halten wir es auch in Zeiten von Corona. Wir arbeiten. Die Terrasse wird wohl das letzte Mal von uns selbst gestrichen. Wir sind in 10 Jahren zu alt dazu und solange wird der Anstrich auf alle Fälle halten. Es wird mich nicht mehr geben, weil ich zu den Risikopatienten gehöre. Seit Wochen nicht aus dem Haus zu gehen ist für mich keine Seltenheit, denn ich habe das auch vor Corona schon gebracht.

Weil ich mich zu wenig bewege, habe ich mir ein gebrauchtes Kettler-Bike für 15 EUR angeschafft. Ich genieße es auf der Terrasse bei Sonnenschein in die Pedale zu treten. Die Erkenntnis, dass Bewegung vor Corona schützt, hat doch einen kräftigen Schubs bewirkt.

Zuvor schon wurde mir klar, dass es auch an der Zeit wäre, die alten Winterklamotten zu beäugen, zu reinigen und wegzuräumen. Socken über Socken werden neu zusammengetan und die Unterhosen Unterhemden in gerolltem Zustand einer wunderbaren Ordnung zu geführt, wie ich sie kürzlich erst von einem Aufräum-Coach im Fernsehn erlernt habe. Es bleibt ein gutes Gefühl von Freiheit übrig und ein blauer Sack mit Ausrangiertem, zum Teil in Lumpen-geschnittenes. Wie oft braucht man einen Lappen den man auch einfach mal wegwerfen kann, zum Fahrrad putzen z. B.

Nach dem Essen und Küche sauber machen, kommt die beste Zeit des Tages – die Mittagsruhe. Warum das so ein gutes Gefühl ist, weiß ich nicht. Ich genehmige es mir einfach. Die Türen zur Sonnenterrasse stehen offen, während der Duft der frischen Farbe sich angenehm mit dem Hörspiel „Imperium“ vermischt, ins Schlafzimmer und über die weiche Zudecke in mein Ohr und Gemüt zieht. Der Autor kann schreiben – genial – ich höre und höre und schlafe dabei ein …