Schade, dass ich mein Poesiealbum irgendwann entsorgt habe.
Dafür haben wir einen Bildband beim letzten Klassentreffen bekommen.
Wir hatten uns dafür entschieden, weil wir uns seit über 20 Jahren immer wieder mal treffen und schon einige Schulfreunde verstorben sind. Es gab viele Erinnerungsfotos – also rein damit in ein schönes dickes Buch, gebunden und 80 EUR teuer.
Ich weiß nicht, aber ich glaube, der erste war Gise, der in seinem Urlaubshotel des nachts in den Pool sprang und verstarb. Er war knapp über vierzig. Weitere Freunde starben zuletzt an Krebs. Schon seit den Sechzigern versterben die Leute an den Folgen von Krebs – auch meine Eltern und Tanten. Woran mag das liegen? An den frühen Unfällen im Atomkraftwerk? Mag sein.
Ich bin jedenfalls weggezogen, augenscheinlich vom Regen in die Traufe. Denn ich erlebte hier in Oberbayern den Regen aus der Atomwolke von Tschernobyl. Gerade glücklich verheiratet und schwanger. Mein Lebensmittelgeschäft hat mich fast rund um die Uhr beschäftigt und ich besorgte einen Geigerzähler, damit ich die Joghurts messen konnte.
Die Unsicherheit war damals sehr groß. Wir gründeten Kaufgruppen und nahmen jeder einen Sack Trockenmilch für die Kinder ab. Die Bauern schütteten ihre Milch in den Kanal, was dann verboten wurde, weil das Grundwasser konterminiert werden würde. Salate aus dem Garten durfte man nicht mehr essen. Die älteren Leute machten sich nichts draus und trotz Warnung, fuhren die Schwiegereltern in die verstrahlte DDR. Nach einer Woche Urlaub bei den Verwandten, verstarben sie beide ein paar Jahre später an Krebs. Zufall?