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Dorfleben

Ich bin in einem Dorf groß geworden, das nach dem Krieg sehr beschäftigt war. Straßen wurden gebaut und Häuser renoviert. Fast jeder hatte einen Bauernhof im alten Dorf, bis auf die Handwerksbetriebe, wie der Schreiner, der Zimmerer, Schmied, Friseur und die Lebensmittelgeschäfte, der Bäcker, der Wirt usw.
Diese interessierten mich mehr als unsere eigenen Felder. Ich war zwar gerne mit der ganzen Helfergemeinschaft dabei, aber die Arbeit war mir zu anstrengend und mühsam. Ich wollte lieber mit der Tante stricken und mit der Großmutter nähen. Jedenfalls bekam ich viele Fertigkeiten und viel Wissen mit, sogar das Mauern hätte mich interessiert.

Die Geschichte vom Maurer

„Breng mein Kaschda Bier mit“, rief der Maurer seinem Helfer zu, als sie gegen 17 Uhr ihre Sachen zusammenpackten und den grauen Kleinlaster luden. Die morgens noch vollen Flaschen waren jetzt leer.
Er war den ganzen Tag bei uns und hat einen Stein auf den andern gesetzt. Der Mörtel hatte nur drei Beigaben und ich beobachtete als Kind sehr genau, wie viele Schaufeln Sand und Beton mit Wasser vermischt wurden, um zu einem perfekten abgebundenen Mörtel zu werden. Dieser durfte auf keinen Fall zu flüssig sein. Er musste die Konsistenz eines Dicken Breis haben, der fest genug war, um die Steine schon im Anfangsstadium miteinander zu verbinden. Das hatte der Maurer wirklich gut drauf. Er schwieg den ganzen Tag und machte seine Arbeit so, dass ich mir als 10-jährigem Mädchen gut vorstellen konnte, auch einmal Maurer zu werden. Ich rannte zu Großmutter in die Küche und fragte sie, ob ich diesen Beruf auch wählen könnte. Mit ihrem kölschen Dialekt sagte sie empört: Böss du jeck, dat is doch nix für Mädschje“. Sie ließ sich nicht groß beim Kartoffelschälen stören, und ich rannte wieder raus in den Hof, um weiter zuzusehen.
Der dünne Mann um die 45 hatte nun neben seiner Arbeit eine kleine Muse für sich bewahrt. Er brauchte dazu seine Flasche Bier, die man aber nie zu Gesicht bekam, außer er trank grade, und er hatte ständig eine Zigarette im Mund, wobei die abgerauchte Asche immer länger wurde. Am liebsten hätte ich gerufen: „Dei Äsch fällt nonder“, aber ich traute mich nicht, denn es war einer von den erwachsenen Männern, die etwas Bedrückendes mit sich trugen und gegenüber Kindern eine gewisse Aversion ausstrahlten, genauso wie unser Melker Bene, oder der Rossknecht Läusl.
Als der Maurer seine Arbeitszeit beendet hatte und mit seiner leeren Kiste Bier abgeholt wurde, ging ich mit meinem Vater zu der Mauer und er sagte verwundert: „Des isch für mi a Rätsel, dass ma mit ra ganza Kischt Bier, so grad maurea ka. „

Die Geschichte vom einsamen Schäfer

Es lebte einst in unserem Dorf ein alter Schäfer. Durch das ganze Leben hatte er Schafe begleitet. Wenn wir Kinder die Herde durch unser Dorf ziehen sahen, freuten wir uns und besahen im Abstand, wie sich die Hunde um den Pulk kümmerten, sodass kein Schaf verloren ging. Es schien eine große Gemeinschaft zu sein, die aufeinander eingespielt war.

Der alte Mann, wir nannten ihn nur Schäfer, wohnte in einem Schäferwagen. Dieser stand manchmal auf den Feldern und über den Winter auf einem Bauernhof, bei den alten Maschinen. Dort schlichen wir uns hin und schauten bei dem kleinen Fensterchen hinein. Es war eine Holzpritsche zu sehen, mit einer Strohmatratze. In dem vielleicht 4 m² großen Kasten hing ein Kreuzchen im Herrgottswinkel, geziert mit einem vertrockneten Sträußchen. Den Namen des Schäfers habe ich nie gehört, den kannte wohl nur der Bauer, der ihn beherbergte als er schon alt geworden war.

Als er verstarb, munkelte man im Dort, dass der Schäfer Millionär war.